Freitag, 21. Dezember 2007

Mary Wigman: Die moderne Ausdruckstänzerin



Video "Mary Wigman's Witch Dance" von Youtube
http://www.youtube.com/watch?v=Tp-Z07Yc5oQ

Leseprobe aus der CD-ROM "Superfrauen: 14 Bücher auf einer CD-ROM" von Ernst Probst:

Eine der bedeutendsten Vertreterinnen des modernen Ausdruckstanzes war die deutsche Tänzerin und Choreographin Mary Wigman (1886–1973), geborene Marie Wiegmann. Sie wurde in den USA enthusiastisch als Schöpferin des „New German Dance“ gefeiert. In ihrer Tanzschule in Dresden und den Zweigschulen, unter anderem in Berlin, vervollkommneten talentierte Tänzer und Tänzerinnen ihre Kunst.

Marie Wiegmann erblickte am 13. November 1886 als Tochter eines Kaufmanns in Hannover das Licht der Welt. Von ihrem Geburtsnamen leitete sie später das Pseudonym „Mary Wigman“ ab. Nach dem Besuch einer höheren Töchterschule in Hannover absolvierte Marie als 14-Jährige zunächst Sprachkurse in einem englischen Mädchenpensionat und später in Lausanne (Schweiz). Sie betätigte sich schriftstellerisch und verfasste Sagen, Märchen, Geschichten und Theaterstücke.

Ihre ersten Tanzeindrücke verdankt Mary Wigman dem schweizerischen Musikpädagogen und Theorielehrer Émile Jaques-Dalcroze (1865–1950) sowie der österreichischen Tänzerin und Choreographin Grete Wiesenthal (1885–1970). Letztere entwickelte zusammen mit ihren Schwestern Elsa und Bertha einen unklassischen, durch eine besondere Schwungtechnik gekennzeichneten Tanzstil, mit dem sie ab 1907 alleine auftrat.

Gegen den Willen ihrer Eltern nahm Mary Wigman 1911 bei Émile Jaques-Dalcroze an der „Schule für Rhythmische Gymnastik“ in Hellerau bei Dresden Unterricht. Dort machte sie der Maler Emil Nolde (1867–1956) auf den Tanzpädagogen und -theoretiker Rudolf von Laban (1879–1958) aufmerksam, der damals mit seinen Schülern in Ascona im schweizerischen Kanton Tessin lebte. 1913 trat sie in Labans „Schule für Kunst“ ein, ihn bezeichnete sie später als ihren wichtigsten Lehrer.

Mary verbrachte die Sommer 1913 und 1914 bei Laban und anderen deutschen Schülern auf dem berühmten Monte Verita bei Ascona. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges im August 1914 blieben Rudolf von Laban und Mary Wigman in der Schweiz. Mary unterrichtete als Assistentin Labans abwechselnd in Zürich und Ascona.

Bereits bei ihrem ersten Auftreten als Solistin (1914) prägte Mary Wigman einen völlig neuen Stil, den sie selbst als „absoluten Tanz“ bezeichnete. 1920 gründete sie in der Bautzner Straße 107 in Dresden eine eigene Tanzschule, die sich zu einem Zentrum des modernen Ausdruckstanzes entwickelte. Zeitweise kamen in Dresden mehrere hundert Schüler zu ihr. Mit ihren Gastspielreisen als Solotänzerin und mit ihrer Truppe durch Deutschland, Europa und Amerika verhalf sie der modernen Tanzkunst zum Durchbruch.

Zu Mary Wigmans Tanzschule in Dresden gesellten sich weitere unter anderem in München und Berlin. In ihrer Schule verfeinerten Harald Kreutzberg (1902–1968), Gret Palucca (1902–1993), Yvonne Georgi (1903–1975) und Dore Hoyer (1911–1967) ihre Tanzkünste.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 hatte Mary Wigman als Vertreterin „artfremder Kunst“ ab 1934 berufliche Schwierigkeiten. Nur ihre Beziehung zu Hanns Benkert (1899–1948), der in einem für die Rüstung wichtigen Industriebetrieb eine leitende Position hatte, schützte sie vor noch gravierenderen Repressionen. Als ihr Geliebter sie verließ, wurde ab 1941 verstärkt politischer und psychologischer Druck auf sie ausgeübt. Ihr Widerstandsgeist erlahmte und sie verkaufte ihre Tanzschule an die Stadt Dresden.

Erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges konnte Mary Wigman in Leipzig wieder eine Tanzschule führen. Auf dem Spielplan der Leipziger Oper für 1946/1947 stand als besonderes Ereignis die Aufführung der Oper „Orpheus und Eurydike“ des deutschen Komponisten Christoph Willibald Gluck (1714–1787) in einer Inszenierung von Mary Wigman. Fortan trat sie wiederholt als Gastregisseurin an bedeutenden Bühnen hervor.

1949 wechselte Mary Wigman nach West-Berlin, wo sie Ende Juli jenes Jahres zusammen mit Marianne Vogelsang (1912–1973) im Stadtteil Dahlem das „Tanzstudio Mary Wigman“ eröffnete, dem ein tanzpädagogisches Seminar angegliedert war. 1957 zeichnete man Mary Wigman mit dem „Großen Bundesverdienstkreuz“ aus.

Publikum und Presse waren von Mary Wigmans Inszenierungen im „Mannheimer Nationaltheater“ (1954), bei den „Berliner Festwochen“ (1957), bei der „Frankfurter Tanzwoche“ (1961) und bei den „Ruhrfestspielen“ in Recklinghausen (Anfang der 1960-er Jahre) hellauf begeistert. Auch in Amerika hatte sie großen Erfolg. In New York entstand 1931 unter der Leitung von Hanya Holm (1893–1962) eine Wigman-Schule, von der starke Impulse auf den amerikanischen Kunsttanz ausgingen.

Unter Mary Wigmans eigenen Tanzschöpfungen gelten die Solowerke „Hexentanz“, „Schwingende Landschaft“, „Herbstliche Tänze“ und „Opfer“ als die bekanntesten. Zu ihren wichtigsten Gruppentanzwerken gehören „Totentanz“, „Die Feier“, „Frauentänze“, „Chorische Studien“, „Sieben Tänze des Lebens“ (Sehnsucht, Liebe, Lust, Leid, Dämon, Tod, Leben) und „Tanzmärchen“. Im Jahre 1963 erschien ihr Buch „Sprache des Tanzes“.

Nach ihrem 80. Geburtstag im Jahre 1966 gab Mary Wigmann wegen zunehmender Gebrechlichkeit ihre Tanzschule in Berlin-Dahlem auf. Am 18. September 1973 starb sie im Alter von 86 Jahren in West-Berlin. An die berühmte Tänzerin und Choreographin erinnern eine Büste im „Kleinen Haus“ und eine Gedenktafel am Haus Bautzner Straße 107 in Dresden sowie die „Mary-Wigmann-Gesellschaft e. V.“ in Köln.

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