Sonntag, 23. Dezember 2007
Pina Bausch: Die "Königin des deutschen Balletts"
Leseprobe aus der CD-ROM "Superfrauen: 14 Bücher auf einer CD-ROM" (2002) von Ernst Probst:
Zur Schöpferin einer neuen Darstellungsform zwischen Tanz und Sprechtheater entwickelte sich die deutsche Tänzerin, Ballettdirektorin und Choreographin Pina Bausch. Kenner rühmen sie als bedeutendste Vertreterin des aus dem „Modern Dance“ hervorgegangenen „New Dance“ in Deutschland oder als „Königin des deutschen Balletts“. Sie machte Wuppertal zu einem Weltzentrum des Tanzes. Die umfangreiche Liste ihrer Choreographien und eigenen Stücke mit dem „Tanztheater Wuppertal“ umfasst inzwischen 1974 und 1998 mehr als 30 Werke.
Pina Bausch wurde am 27. Juli 1940 als Tochter eines Gastwirts in Solingen geboren. Nach frühem Ballettunterricht in der Kinderzeit begann sie mit 14 Jahren ihre tänzerische Ausbildung bei Professor Kurt Jooss an der „Folkwangschule“ in Essen. 1958 trat sie bei den „Schwetzinger Festspielen“ und bei den „Ruhrfestspielen“ in Recklinghausen auf. Im selben Jahr bestand sie die Abschlussprüfung für Bühnentanz und Tanzpädagogik.
Dank des „Folkwang-Leistungspreises“ erhielt Pina Bausch ein Stipendium des „Akademischen Austauschdienstes“ (AAD) für die USA. Damit setzte sie 1960 die tänzerische Weiterbildung als „Special Student“ an der „Juillard School of Music“ in New York fort. Damals schloss sie sich auch der „Dance Companie Paul Sansardo and Donya Feuer“ an. 1961 engagierte man sie als Mitglied des „New American Ballett“ an der New Yorker „Metropolitan Opera“ („Met“).
1962 kehrte Pina Bausch nach Deutschland zurück und wurde Solistin des neugegründeten „Folkwang-Balletts“ unter Professor Kurt Jooss. Mit diesem Ballett unternahm sie Tourneen in die Niederlande, Belgien, Großbritannien, Italien und in die frühere Deutsche Demokratische Republik (DDR). 1962, 1964 und 1966 tanzte sie erneut bei den „Schwetzinger Festspielen“. Ab 1967 war der Bühnenbildner Rolf Borzik ihr Lebensgefährte und engster Mitarbeiter. 1967 arbeitete sie mit Jean Cebron beim „Festival of the two Worlds-Spoleto“ zusammen und trat in Amsterdam, Rotterdam, Hamburg und London auf.
1968 begeisterte Pina Bausch beim „Festival Jocobs Pillow“ in den USA und bei den „Salzburger Festspielen“. Außerdem choreographierte sie in jenem Jahr für das „Folkwang-Ballett“ das Stück „Fragment“ – nach dem ungarischen Komponisten und Pianisten Béla Bartok (1883–1945) – und „Im Wind der Zeit“ – zu Musik von Mirko Dorner. 1969 gewann sie mit „Im Wind der Zeit“ den ersten Preis beim renommierten „Kölner Choreographen-Wettbewerb“.
1969 übertrug man Pina Bausch die Leitung des „Folkwang-Tanzstudios“ und eine Dozentur an der Essener „Folkwang-Hochschule“. Im selben Jahr studierte sie für die „Schwetzinger Festspiele“ die „Fairy Queen“ in der Choreographie von Kurt Jooss ein.
1970 rückte Pina Bausch mit der Uraufführung des Balletts „Nachnull“ erstmals von der „Modern Dance“-Tradition ab. Ebenfalls 1970 wirkte sie als Gastchoreographin am „Rotterdam Dance-Centrum“ und als Dozentin für modernen Tanz bei den „Frankfurter Sommerkursen“. 1971 entstand im Auftrag der „Wuppertaler Bühnen“ ihr Ballett „Aktionen für Tänzer“. Für das selbe Theater choreographierte sie 1972 erfolgreich das „Thannhäuser-Bacchanale“. In jenem Jahr wurde auch ihre Choreographie „Wiegenlied“ uraufgeführt.
1973 erhielt Pina Bausch den „Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen“ für junge Künstler. Im Sommer 1973 stieg sie zur Direktorin des „Tanztheaters Wuppertal“ auf. Dort glückte ihr bereits im Frühjahr 1974 mit der Tanzversion der Oper „Iphigenie auf Tauris“ der große Durchbruch. Außerdem stellte sie 1974 Free-Jazz-Improvisationen und eine Choreographie für die Revue „Zwei Krawatten“ vor, hinzu kamen die tiefenpsychologische Etüde „Fritz“, die Choreographie „Adagio – Fünf Lieder“ und das Schlagerballett „Ich bring dich um die Ecke“.
1975 folgten die „Modern Dance“-Fassung der Oper „Orpheus und Eurydike“ und die drei Ballette „Frühlingsopfer“: Wind von West, Der zweite Frühling, Le Sacre du Printemps. 1976 brach Pina Bausch mit einem Brecht/Weill-Abend endgültig aus traditionellen Formen des Tanztheaters aus und wandte sich einer eindrucksvollen szenischen Tanzkunst in der Nähe des Sprechtheaters zu. In den folgenden Jahren waren ihre Stücke bei der Premiere oft noch nicht abgeschlossen und trugen keinen Titel.
Wuppertaler Theaterabonnenten empörten sich nicht selten über die von Montage und work-in-progress gekennzeichneten Choreographien, in denen Pina Bausch eine rigorose Abkehr vom klassischen Handlungsballett demonstrierte. Sie weigerte sich, Erklärungen zu ihren Aufführungen abzugeben und eindeutige Interpretationen zu ermöglichen.
Im Januar 1980 starb Pina Pauschs Lebensgefährte Rolf Borzik an Krebs. Danach ging sie eine neue Verbindung mit dem Deutsch-Chilenen Ronald Kay ein. Im September 1981 kam ihr Sohn Rolf Salomon zur Welt.
1982 spielte Pina Bausch in dem Film „E la nave va“ („Ein Schiff fährt davon“) des italienischen Regisseurs Federico Fellini (1920–1993) mit. Im selben Jahr wurde auch der Film „Was tun Pina Bausch und ihre Tänzer in Wuppertal?“ von Klaus Wildenhahn gedreht.
Im Juni 1984 nahm die Tanzgruppe von Pina Bausch an der Eröffnung des „Olympischen Kulturfestes“ in Los Angeles (Kalifornien) teil. Im gleichen Jahr erhielt sie den „Deutschen Kritikerpreis“ für die Entwicklung neuer ästhetischer Maßstäbe für das Ballett.
Ab Oktober 1985 übertrug man Pina Bausch die künstlerische Leitung des Studienbereiches Tanz an der „Folkwang-Hochschule“ Essen. Schon zu diesem Zeitpunkt galt ihr Ensemble als wichtigster Vertreter des bundesdeutschen Balletts im Ausland. 1986 überreichte ihr Bundespräsident Richard von Weizsäcker das „Bundesverdienstkreuz 1. Klasse“. Außerdem erschien damals das Buch „Pina Bausch. Tanztheatergeschichte“ von Raimund Hoghe mit Fotos von Ulli Wiess.
1989 sah man Pina Bausch in dem Kinofilm „Die Klage der Kaiserin“, der von L’Arche (Paris) in Zusammenarbeit mit den „Wuppertaler Bühnen“, dem „Zweiten Deutschen Fernsehen“ (Mainz), „Channel Four“ (London) und „La Sept“ (Paris) produziert wurde.
Zu den zahlreichen Auszeichnungen von Pina Bausch kamen 1990 fünf weitere hinzu: der Preis der „Internationalen Academia Medicea“ in Florenz „Lorenzo il Magnifico“, der „Premio Aurel Milloss“ im Rahmen des „Premio Gino Tani“, Rom, der „Preis des Zentrums Bundesrepublik Deutschland des Internationalen Theaterinstitus e. V.“ (ITI) zum „Welttheatertag 1990“, übergeben durch den Präsidenten August Everding (1928–1999), der „Premio „UBU“ Italien und der „NRW Staatspreis, überreicht durch den damaligen Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau.
Unter den Ehrungen des Jahres 1991 ragt die Ernennung zum „Commandeur de l’Ordre des Arts et des Lettres“ durch den französischen Kultusminister Jack Lang in Paris besonders heraus. 1992 erhielt sie den „Critic Awards“ für ihr Stück „Cafe Müller“ in Edinburgh, 1993 die Picasso-Medaille der „United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization“ (UNESCO) im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung zum „25. Weltkongreß des Internationalen Theaterinstituts“ (ITI) in München.
1994 nahm Pina Bausch aus der Hand des portugiesischen Staatspräsidenten Mário Soares den „Cruz da Ordem Militat de Santiago de Espada“ entgegen. 1995 zeichnete man sie mit dem „Deutschen Tanzpreis“ des „Deutschen Berufsverbandes für Tanzpädagogik e. V.“ und dem „Joana Gorvin Preis“ der „Deutschen Akademie der Schönen Künste“ in Berlin aus.
1997 studierte Pina Bausch die Choreographie „Frühlingsopfer“ mit dem „Ballet de L’Opérea National de Paris“ ein. Ebenfalls 1997 erhielt sie den „Berliner Theaterpreis“, das „Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“ und den „Ehrenring der Stadt Wuppertal“. Außerdem sprach man ihr den Orden „Pour le mérite“ zu. 1998 gewann sie den „Bambi Kultur“. Insgesamt sind ihr von 1958 bis 1998 mehr als 30 Auszeichnungen verliehen worden.
1999 gehörte Pina Bausch zu den fünf Künstlern, die alljährlich von der „Japan Art Association“ für ihr Lebenswerk mit dem japanischen „Praemium Imperial“ geehrt werden. Die 1988 ins Leben gerufene Auszeichnung gilt als „Nobelpreis der Künste“. Im Juni 1999 verlieh man Pina Bausch für Lebenswerk den „Samuel H. Scripps American Dance Festival Award“.
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